Texte

Ausschnitte aus Texten von Max Himmelheber

Das Leben ist der Güter höchstes
(Scheidewege 12, 1982)

Wir sehen gegenwärtig das Leben als höchstes Gut von zwei Seiten her bedroht, die scheinbar ursächlich nicht zusammenhängen, wohl aber in ihren Folgen eng miteinander verknüpft sind: Unabhängig von der Frage, ob ein dritter Weltkrieg bevorsteht, ist das Leben als Ganzes auch durch die ökologischen Schädigungen von der Vernichtung bedroht, nur daß diese — bis jetzt — nicht schlagartig, sondern schleichend vor sich geht. Schleichend insofern, als die Natur noch immer Abwehrkräfte bereit hält, um einzelne Teilkatastrophen zu überstehen. Solche reichen vom täglichen Aussterben von Pflanzen- und Tierarten über die unablässige Betonierung fruchtbaren Ackerbodens, die Trockenlegung von Feuchtgebieten und Kanalisierung von Flüssen bis zur Umwandlung tropischer Länder in Wüstengebiete, was z. B. jenen westafrikanischen Staaten bevorsteht, die seit Kriegsende drei Viertel ihres tropischen Regenwaldes kahlgeschlagen haben, um sich für den Erlös der nach Europa verkauften Edelhölzer protzige Hauptstädte zu bauen.

Diese Naturzerstörungen haben den Charakter von Kippvorgängen, d.h. daß ein auf hoher Qualitätsstufe bestehendes subtiles Gleichgewicht derart und so lange unterhöhlt wird, bis es katastrophal zusammenbricht, um sich auf einer tieferen Stufe — letztlich im Tod — erneut zu stabilisieren. Noch erleben wir den Zusammenbruch der Öko-Systeme — die Klimasysteme eingeschlossen — der tropischen Regenwaldgebiete nicht unmittelbar. […]
 Wenn es uns nicht gelingt, Erdboden, Wasser und Luft zu entgiften und darüber hinaus die natürlichen, organischen Kreisläufe in der Pflanzen- und Tierwelt wieder herzustellen und die noch nicht ausgestorbenen Lebensformen zu erhalten, dann droht ebenfalls ein totaler Zusammenbruch der gesamten Lebenssphäre des Planeten. Er wird vielleicht erst nach einigen Jahrhunderten ständig zunehmenden Siechtums eintreten, vielleicht aber schon in Jahrzehnten im Wäldersterben, durch plötzlich Kippvorgänge im Erdklima und in der Lebenswelt der Ozeane. […]

Es wird eine Zeit kommen, da die Jungen unsere Generation fragen werden: Warum habt ihr nichts dagegen unternommen? Ihr kanntet doch Rachel Carsons „Stummen Frühling“, kanntet die Meadows-Studie und „GLOBAL 2000“; die Zahl der Zeitschriften und Bücher, die in schonungsloser Klarheit die von euch verursachten Weltgefahren entlarvten und euch zum Bewußtsein brachten, gehen in die Hunderte und bald in die Tausende. Warum habt ihr nichts dagegen unternommen, daß ihr für einen nie zuvor in der Menschheit gekannten Wohlstand und für das schale Glück, das er vermittelt, Erde, Wasser und Luft vergiftet, die unwiederbringlichen Bodenschätze geplündert, Pflanzen- und Tierarten zu Tausenden für alle Zeiten ausgerottet habt und zur gleichen Zeit einen Großteil eurer schöpferischen Kräfte, eurer Arbeitsleistung und eures Volksvermögens darauf gewandt habt, immer teuflischere Mordmaschinen zu erfinden, zu bauen und ihren „Einsatz“ zu verhindern, indem ihr ihn vorbereitetet (in der Meinung, das si vis pacem, para bellum gelte auch in den Dimensionen der Atomrüstung). […]

Rückschritt zum Überleben
(Scheidewege 4, 1974)

  […] Der Ausweg aus den inzwischen sichtbar gewordenen Schwierigkeiten wird von den meisten Wissenschaftlern und Politikern in einer Fortsetzung des bisher geübten Verfahrens gesehen und seine Vervollkommnung durch „technische Durchbrüche“ gefordert beziehungsweise vorausgesagt. Die Umweltverschmutzung soll durch vermehrte Technik beseitigt werden, an die Stelle der natürlichen Rohstoffe sollen neue synthetische Produkte treten und an die Stelle der natürlichen Brennstoffe die Atomenergie.


Eine Analyse dieser Durchbruchslehre ergibt:

Umweltproblematik : Die Überwindung der ökologischen Krise setzt keine neuartigen technischen Durchbrüche in Richtung des bisherigen technischen Fortschritts voraus, sondern Rezyklisierung, Verbot nicht rezyklisierbarer Gifte und Wasserreinigung. Die meisten dafür erforderlichen technischen Verfahren sind im Prinzip bekannt, und ihre Einführung scheitert bisher nur an den Kosten; sie waren im Zusammenhang der Raubbauwirtschaft „unrentabel“. Diese Kosten und die erforderliche Energie müssen wir in Zukunft aufbringen. Das wird nur durch Einsparungen an anderen Stellen möglich sein.


Rohstoffsituation : Wo die Technik in den letzten Jahrzehnten Naturstoffe durch synthetische Produkte ersetzt hat, handelt es sich fast ausschließlich um organische Verbindungen aus der Pflanzen- und Tierwelt. Die unersetzbaren Rohstoffe, die wir dem Boden entnehmen, sind überwiegend chemische Elemente (alle Metalle), deren spezifische Eigenschaften nicht synthetisiert werden können. Hinzu kommt, daß alle Substitutionen dieser Art einen (zum Teil drastisch vermehrten) Energieverbrauch erfordern.

 Energie: Hier vor allem wird der technische Durchbruch gefordert und sein Gelingen mittels der Atomtechnik mit Gewißheit erwartet. Indessen krankt die gesamte Atomenergietechnik daran, daß ihre Abfälle nicht rezyklisierbar, zugleich aber außerordentlich gefährlich sind. Die Fachleute Europas und Amerikas geben zu, daß bis heute kein Verfahren bekannt ist, mit dem diese Abfälle, die zum Teil über Jahrzehntausende eine Bedrohung allen irdischen Lebens darstellen, absolut sicher von der Biosphäre isoliert werden könnten. In den USA hat man die zunächst in Salzbergwerken eingelagerten Abfälle wieder herausgeholt und bringt sie einstweilen in sogenannten Jahrhundertlagern (großen oberirdischen Betonbunkern) unter, in der Hoffnung, man werde in kommenden Jahrhunderten eine sichere Lösung für ihre Beseitigung finden. […]

Die einzig mögliche verantwortungsbewußte Haltung gegenüber der Atomtechnik kann nur sein, sich auf die reine Forschung zu beschränken, solange nicht alle heute noch offenen Probleme gelöst sind und Großunfälle mit Sicherheit ausgeschlossen werden können. Da Atomkraftwerke, Abfalltransporte und Abfalldeponien aber gegen Terrorakte, Kriegshandlungen und Sabotage nicht wirksam geschützt werden können und da es absolute Sicherheit im technischen Betrieb niemals gibt, so bleibt nur der — vielleicht bittere — Entschluß, diese Technik aus unseren Programmen für eine künftige Welt zu streichen. […]

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